Der politische Weihnachtsklassiker
Vor 70 Jahren zeichnete Deutschland den italienischen Erfolgsfilm «Don Camillo und Peppone» mit dem Bundesfilmpreis aus zum «besten Film zur Förderung des demokratischen Gedankens». Sowohl der Autor Giovannino Guareschi wie der reale Namensgeber Don Camillo Valota hatten eineinhalb Jahre in deutschen Konzentrationslagern verbracht. |
«Dünnes Eis, oh Herr, dünnes Eis.»
Wenn Dorfpriester Don Camillo im gleichnamigen Weihnachtsklassiker durch seine Kirche eilt, verwickelt der Jesus am Kruzifix ihn gern in Wortwechsel. Satiriker Willi Näf hat mit Gekreuzigten aus Balsaholz das vorweihnachtliche Gespräch gesucht. Vielen Dank, oh Herr, dass du dir die Zeit nimmst. Sehr gerne, für Menschen immer. Wie war deine Anreise? Fuhr der Regionalzug Parma – Brescello pünktlich? Knapp. Zum Nabel der Welt wird die Po-Ebene in absehbarer Zeit wohl nicht mehr. Ich fühle mich halt bei Randgruppen in Randregionen wohler als im Louvre oder in den Uffizien. Und du kennst ja das Intro der Don-Camillo-Filme. «Eine kleine Welt. Ein Landstädtchen irgendwo in Norditalien.» Genau. Brescello. Im Film heisst es Boscaccio. Hast du auf dem Dorfplatz mit den bronzenen Statuen von Don Camillo und Peppone bereits ein Selfie gemacht? Nein. Wieviele Besucher kommen eigentlich so pro Jahr ins Dorf, oh Herr? Das «oh Herr» ist nicht nötig. Pathos liegt mir nicht. Verzeihung, oh Herr. Keine Ursache. Einige zehntausend Besucher dürften es sein. 70 Jahre nach den Dreharbeiten, Donnerwetter. Das ist doch kein Wunder. Erstens war der Film 1952 ein Welterfolg. Die Washington Post brachte eine achtseitige Sonderbeilage über Don Camillo und das italienische Filmschaffen. Zweitens hat er sich als Weihnachts-Kultfilm etabliert, und das belebt den Drehort-Tourismus. Don Camillo ist aber weder ein Winter- noch ein Weihnachtsfilm. Da hast du recht. Doch im Advent sehnen sich die Menschen nach dem Kindlichen und Versöhnlichen. Wenn du ehrlich bist, oh Herr, musst du zugeben, dass die Don-Camillo-Filme davon leben, dass sich ein reaktionärer Priester und ein sozialistischer Bürgermeister auf die Kappe geben. Natürlich. Aber funktionieren tun sie, weil die beiden sich jeweils wieder versöhnen. Contre coeur zwar, aber das von Herzen. Das widerspricht sich. Eben. Menschen sind widersprüchlich, also machen wiedersprüchliche Figuren einen Film menschlich. Im Grunde genommen wollen Don Camillo und Peppone doch dasselbe. Nämlich? Das Beste für das Dorf. Don Camillo und Peppone prügeln sich doch nicht für das Wohl des Dorfes. Sondern? Sondern weil sie stolze Hitzköpfe und sture Idealisten sind. Absolut. Aber sobald es um eine höhere Sache geht, schlucken sie ihren Stolz hinunter und arbeiten zusammen. Pragmatische Idealisten, sozusagen? Höre ich leise Ironie? Was du hörst, weiss ich nicht. Auch ein Pragmatiker hat Ideale, sonst wäre er kein Pragmatiker, sondern ein Fatalist oder Zyniker. Er strebt seine Ideale einfach elastischer und geduldiger an. Und auch ein Hitzkopf hat ein Herz. Er braucht nur etwas länger, bis er es hört. Weder Peppone noch Don Camillo konnten in der Wiege dosieren, wieviel Temperament sie auf den Lebensweg mitbekommen würden. Und wie wenig Kinderstube. Du unterstellst den Menschen chronisch guten Willen. Oh ja, das solltest du auch probieren. Es macht mehr Freude und vereinfacht das Erlösen. Ich unterstelle den Menschen sogar, dass sie an sich arbeiten können. Selbst Saftwurzeln wie Don Camillo oder Peppone? Gewiss doch. Gelegentlich Aussetzer vom guten Willen gehören aber dazu. Hast du ihnen ihre Aussetzer vergeben? Nein. Kleinkram in dieser Liga sollen sich die Direktbetroffenen selber vergeben. Wo kein Ankläger, da keine Anklage. Ich dachte, das Vergeben sei deine Aufgabe. Nein, das müssen die Menschen schon selber erledigen. Von mir könnten sie es aber lernen. Von Haus aus bin ich eindeutig der beste Vergeber auf dem Arbeitsmarkt der Weltanschauungen. Sonst würde die Weihnachtsgeschichte nicht schon seit 2000 Jahren so überwältigend funktionieren, und Don Camillos Geschichte seit 70 Jahren. Ist das Kreuz eigentlich bequem, an dem du hängst? Oh, das ist nun ein etwas überraschender Themenwechsel. Ja, mir wird unser Gespräch nämlich zu theologisch. Ich weiss nicht, ob das Kreuz bequem ist. Ich bestehe aus Holz, da hält sich das Schmerzempfinden im Rahmen. Bei Balsaholz hängt man recht leicht. Tischler Emilio Bianchini und Bildhauer Bruno Avesani haben eine gute Wahl getroffen. Dein eigentlicher Schöpfer ist Autor Giovannino Guareschi, der die Idee hatte, dir Worte in den Mund zu legen. Ein grossartiger Kerl, und ein Meister der Federführung. Wieso Federführung? Ein guter Autor führt eine gute Feder, und damit führt er die Gedanken und Gefühle der Menschen. Guareschi hat mir eine fantastische Rolle auf meinen göttlichen Holzbauch geschrieben. Was für einer war er denn so? Giovannino Guareschi hat es fertig gebracht, 1908 am Tag der Arbeit zur Welt zu kommen, während auf dem Platz vor seinem Elternhaus dreissig Kilometer nördlich von Parma die italienischen Kommunisten rote Fahnen schwenkten. Und Sozialistenführer Giovanni Faraboli präsentiert der Menge seinen frisch geborenen Namensvetter mit den Worten: «Wer am 1. Mai auf die Welt kommt, wird ein führender Sozialist werden!» Das klingt verdächtig nach Legende. Für Legenden habe ich viel übrig. Nur die kraftvollsten Geschichten werden zu Legenden. Wer sie mit profanen historischen Tatsachen zerstört, hat nichts begriffen. Tatsachen ausblenden ist nicht meins. Tatsachen sind überbewertet. Ausserdem stecken auch Legenden voller Tatsachen, nämlich über Menschen und das Menschsein. Das «Könnte-Sein» ist oft so stark wie das «Sein». Und das «Könnte-gewesen-sein» so stark wie das «war». Die legendenhafte Vorhersage vom «führenden Sozialisten» Guareschi ist jedenfalls spektakulär gescheitert. Das war keine Vorhersage, sondern eine Hoffnung. Das solltest du nicht verwechseln. Wo stand Guareschi denn politisch? Er war gemässigt konservativ ohne Braunstich. Einer der Vernünftigen. Beim Waffenstillstand von Cassibile 1943 weigerten er und seine Kameraden sich, weiter für Mussolini gegen die Alliierten zu kämpfen. Dann haben die Deutschen ihn verhaftet. Und weiter? Guareschi hat als Zwangsarbeiter vier Lager überlebt, darunter Mauthausen und Dachau. Nach eineinhalb Jahren brach der Frieden aus, er kehrte bis auf die Knochen abgemagert zurück nach Italien und gründete die satirische Wochenzeitschrift «Candido». Der Mann hatte Humor. Und ein Ziel. Er wollte jene Fanatiker entlarven, die im Italien der Nachkriegszeit darum kämpften, welche Weltanschauung den Faschismus ersetzen soll. Also entlarvte er die roten Kommunisten als Maulhelden, aber auch die schwarzen Katholiken mit ihrem konservativen Klerus. Und diese Realität hat er en miniatur abgebildet in Boscaccio. Genau, und bestückt hat er es mit einem hübschen Ensemble skurriler Mitmenschlein. Ich als Gekreuzigter hatte die beste Rolle. Mimisch ausgesprochen anspruchslos. Aber überaus wirkungsvoll. Ich durfte Don Camillo in seinem Furor liebevoll-ironisch ansprechen und ihn auf seine eigenen Schwächen zurück werfen. Ich habe die Sehnsucht des Publikums nach pragmatischer Annäherung und Versöhnung getriggert. Und das hältst du für den Schlüssel zum Erfolg? Unbedingt. Lass mich aus einer Filmrezension zitieren. Die deutsche Tageszeitung «Telegraf» schrieb nach de Premiere 1952: «Am liebsten möchte man das Kino nicht verlassen, sondern sich diese filmische Inkarnation so oft ansehen, bis sie Auge, Ohr, Verstand und Herz – Herz ist wichtig! – derart aufgenommen haben, dass sie als unvergessliche Dauerprojektion jederzeit verfügbar ist, wenn eiserne Vorhänge niederzurasseln drohen. Es ist ein Meisterwerk, verschmitzt und voller Tiefsinnigkeit. Es ist deftig und zart, es ist, um Tränen des Lachens und des Weinens gleichzeitig zu vergiessen.» Nicht schlecht. Ja, nicht wahr? Wie entwickelte sich der Erfolg konkret? Guareschi schuf seine Figuren ja für Kurzgeschichten in seinem Satireblatt. Sein Verleger Angelo Rizzi nötigte ihn dann, sie zu einem Episodenroman zu verquicken. Und der wurde weltweit zum Knüller. Allein die deutsche Ausgabe verkaufte sich innert Kürze 250’000 Mal. Heutigen Autoren treibt eine solche Auflage Tränen in die Augen. Verleger Rizzi kontaktierte den Filmproduzenten Giuseppe Amato, zusammen klopften sie dann bei grossen Regisseuren an, Vittorio De Sica, Alessandro Blasetti, diese Liga. Doch die fürchteten, von der einflussreichen kommunistischen Partei Italiens Haue zu bekommen. Hollywood hat nicht angebissen? Oh doch, Frank Capra wollte Don Camillo unbedingt drehen, mit Spencer Tracy in der Hauptrolle. Aber Capra war noch bei Paramount verpflichtet. Rizzi und Amato holten dann den Franzosen Julien Divivier als Regisseur, dieser bot für das Drehbuch René Barjavel auf. Und für die Hauptrolle Fernandel. Der Rest ist Geschichte. War Guareschi zufrieden mit den Filmen? Autoren, die zufrieden sind mit der Verfilmung ihrer Geschichte, hat die göttliche Evolution bisher noch nicht hervorgebracht. Was hat ihm denn nicht gefallen? Das Drehbuch und die Besetzung. Also die Hauptsache. Sozusagen. Die Kommunisten kamen ihm zu gut weg und Peppone war ihm zu menschlich. Guareschi wollte bissig und ironisch aufzeigen, wie die Welt war, doch Duvivier und Barjavel wollten heiter und versöhnlich inszenieren, wie die Welt sein könnte. Was missfiel Guareschi an der Besetzung? Fernandel. Ein Komiker mit Schuhgrösse 48, Pferdegebiss, hervorquellenden Augen und umwerfender Mimik. Guareschi war sofort klar, dass Fernandels Auftritt den Film dominieren und damit entpolitisieren würde. Nach dem Siegeszug des Filmes hat er aber wohl die Klappe gehalten? Natürlich. Bis 1965 folgten ja noch vier weitere Filme. Ein sechster blieb unvollendet, weil Fernandel während der Dreharbeiten das Zeitliche segnete. Drei Jahre später starb Guareschi selber. Don Alessandro Parenti starb dann 1980, Don Camillo Valota 1998. Don who? Die Vorbilder für Don Camillo. Der hatte Vorbilder? Natürlich. Irgendwas oder irgendwer hat Guareschis Vorstellungen von einem Priester ja wohl geformt. Don Alessandro Parenti war über vierzig Jahre lang der eigenwillige Priester von Trepalle auf 2250 Metern über Meer zwischen Bormio und Livigno. Er brachte fliessendes Wasser ins Dorf, elektrischen Strom, Telefon und eine Tankstelle. Ziemlich weltlich für einen Priester. Sehr sympathisch, nicht wahr? Ihn kümmerte es nicht mal, dass manche seiner mausarmen Schäfchen schmuggelten. Grenzen seien eine Erfindung des Menschen, bemerkte er trocken. Guareschi schrieb 1948: «Ich empfehle euch, Don Parenti zu besuchen. Beim Sprechen brüllt und gestikuliert er.» Und das zweite Vorbild? Don Camillo Valota war Priester in Frontale di Sondalo zwischen Bormio und Tirano. Wie Guareschi war auch er beteiligt am Waffenstillstand von Cassibile, schloss sich dann dem Widerstand an und brachte mit seiner Partisanengruppe Juden von Italien über die Alpen in die Schweiz. 1944 wurde er verhaftet und überstand ebenfalls Mauthausen und Dachau. Nach dem Krieg hat Valota sich als Kaplan um die italienischen Arbeitsmigranten in den ostfranzösischen Kohlebergwerken bemüht. Zwei engagierte Idealisten als Vorbilder. Das würde ich meinen. Wie konnte Guareschi als KZ-Überlebender, ich zitiere dich, «kindliche und versöhnliche Geschichten» schreiben? Das ist die Million-Dollar-Frage. Sein Humor und sein Faible für Ironie haben ihm sicher geholfen. Aber so ungewöhnlich ist Guareschis Entwicklung nach dem Krieg gar nicht. Viele KZ-Überlebende gingen später wieder versöhnt und warmherzig durchs Leben. Ein gesunder Glaube an etwas Höheres ist hilfreich. Guareschi war aber nicht religiös. Ich sage auch nicht, Glaube sei zwingend, nur hilfreich. Der Auschwitz-Überlebende Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, kam gänzlich ohne Kruzifixe und Weihnachten aus. Frankl, oh ja, ein ganz grosser Geist. Er hatte im KZ begriffen, dass es auch noch unter den schlimmsten Bedingungen möglich ist, einen Sinn im Leben zu sehen. Und dass Häftlinge eher überlebten, wenn jemand auf sie wartete. Später bezeichneten KZ-Insassen oftmals die Vergebung als einen Akt der Befreiung. Befreiung wovon? Vergebung erlöst die Schuldigen von der Schuld und die Opfer vom lähmenden Selbstbild als Opfer. Zu Guareschis Zeiten gab es euren modernen Opferwettbewerb ja noch nicht. Worauf spielst du an? Wonach sieht es denn aus? Ihr liefert euch doch heute einen Wettkampf, wer das grösste Opfer ist. Religionen, Hautfarben, Geschlechter, Altersklassen, Kaufkraftklassen definieren sich mit entsicherten Zeigefingern als Opfer. Selbst Kriegstreiber tun, als ob sie sich nur verteidigen würden. Und wer persönlich selber kein Opfer ist, kann preisgünstig eine gesellschaftliche Minderheit adoptieren und sich selber zu ihrem Vor-Mund wählen. Dünnes Eis, oh Herr, dünnes Eis. Das macht mir keine Angst, ich wurde bereits gekreuzigt. Weisst du, Solidarität mit Adoptivopfern verliert ihre Wirkung, wenn sie zur moralischen Selbstüberhöhung dient. Und wie erkennt man die? Indem man regelmässig in sich hinein horcht. Es haben nun mal nicht alle Mitmenschen einen Gekreuzigten in der Kirche, der sie gelegentlich auf den Boden zurückholt, wie Don Camillo. Darum werden die Leute diese Filme weiterhin lieben. Je unversöhnlicher die Zeiten, desto mehr sehnen sie sich nach versöhnlichen Geschichten. Nie ist Kitsch gefrager als im Krieg. Menschen spüren, dass Versöhnlichkeit nötig ist, um Fronten niederzureissen. Weisst du, was mir an der christlichen Botschaft missfällt? Ich werde es wohl gleich erfahren. Dieses simple «Vergebt euch» und zack sind die Probleme gelöst. Ach was. Nichts ist zack. Vergeben ist nur eine Willenserklärung, ein Startschuss. Persönliches Vergeben kann Jahre dauern, kollektive Versöhnung dauert Generationen. Glaubst du, Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela oder Martin Luther King hätten an ein «zack» geglaubt? Mhm, okay. Die hatten ein Fernziel. Die wussten, dass es immer Scharfmacher gibt, die eine Annäherung sabotieren. Und dass Friede ausgehandelt werden muss. Aber sie wussten eben auch, dass es für Frieden im Ansatz eine Spur Versöhnlichkeit braucht. Eine Spur Weihnachten, gewissermassen. Von mir aus könnten wir hier Schluss machen, das artet wieder in Philosophie und Theologie aus. Theologie ist mein Steckenpferd, wie du dir vorstellen kannst. Vergebung und Versöhnung sind nun mal auch mein Ding. Aber ich hätte ein feines Schlusswort. Bitte. Lass mich die zwei allerletzten Sätze aus dem vierten Film von Don Camillo zitieren: «Sind es Märchen, die wie wahre Geschichten klingen, oder wahre Geschichten, die wie Märchen klingen? Wer will das entscheiden!?» Und, wer entscheidet? Du. |
Don Camillo hat neun Väter. Oder zehn.
Eher zehn.
Eher zehn.
Vater I.
Autor Giovannino Guareschi schafft das Kunststück, 1908 am Tag der Arbeit zur Welt zu kommen, während auf dem Platz vor dem Haus seiner Eltern die Italienischen Kommunisten rote Fahnen schwenken und rote Reden schwingen. Sozialistenführer Giovanni Faraboli präsentiert der Menge seinen frisch geborenen Namensvetter mit den Worten: «Wer am 1. Mai auf die Welt kommt, wird ein führender Sozialist werden!» Nach erfolgreicher Absolvierung seiner Kindheit in der Provinz Parma übernimmt Guareschi als junger Journalist zwar Farabolis Stalin-Schnurrbart und seine Energie, aber politisch erweist er sich als Konservativer ohne kommunistischen Rot- oder faschistischen Braunstich. Beim Waffenstillstand von Cassibile 1943 weigern er und seine Kameraden sich, weiter für Mussolini gegen die Alliierten zu kämpfen. Guareschi wird von den Deutschen verhaftet und verbringt eineinhalb Jahre als Zwangsarbeiter in vier Lagern. Bis auf die Knochen abgemagert kehrt er nach dem Krieg zurück nach Italien, beweist Humor und gründet die satirische Wochenzeitschrift «Candido». Von nun an karikiert der 37-Jährige messerscharf die Kommunisten und die Katholisch-Konservativen, die im Italien der Nachkriegszeit verbissen darum kämpfen, welche Weltanschauung den Faschismus ersetzen soll. Guareschi bildet diese Realität ab in Kurzgeschichten über «eine kleine Welt, ein Landstädtchen irgendwo in Norditalien». Er tauft sein Schlachtfeldchen Boscaccio und giesst ein feines Ensemble skurriler Zinnsoldaten. In seinen zwei Hauptfiguren, Don Camillo und Peppone, legt er einen hübschen Zwiespalt an: Die beiden prügeln sich zwar ohne Unterbruch, doch eigentlich schlägt das Herz des katholisch-konservativen Priesters genauso sehr für besitzlose «Proletarier» wie das Herz seines Gegenspielers. Dieser wiederum geisselt den Priester tagsüber als reaktionären Pfaffen, nachts aber schleicht er sich in die Kirche zur Mutter Gottes oder zum Priester, weil er ein schlechtes Gewissen hat oder in der Patsche sitzt. Als selbständiger Kleinunternehmer hat der glühende Kommunist temporär sogar Verständnis für kapitalistische Besitzstandwahrung – beispielsweise wenn er einen riesigen Lottogewinn vor seiner Partei geheimhalten will. Mit seinen überraschenden Geschichten entlarvt Autor Giovannino Guareschi die Ideologen als Maulhelden. Vor allem Peppone und seine kadavergehorsame rote Brülltruppe lässt er oft an sich selber auflaufen. Doch Guareschi begleitet die Kurzgeschichten gern mit dem Hintergrundrauschen der Versöhnung. Bisweilen geht die Initiative dafür von der ungewöhnlichsten Figur auf Guareschis Spielwiese aus, vom gekreuzigten Christus am Hochaltar in Don Camillos Kirche. Der verwickelt seinen Priester nämlich gerne in kurze Gespräche – oder umgekehrt – und reflektiert dessen wutanfällige Schnapsideen sanft ironisch. In Italien, wo der kalte Krieg besonders heiss tobt, lesen die Leute Guareschis humorvolle Kabinettstücke als Plädoyer für pragmatische Annäherung. Und das ist es, wonach sie sich sehnen. Es ist Guareschis Verleger, der ahnt, wieviel sich damit anfangen lässt. Väter II. und III. Der Mailänder Verleger Angelo Rizzoli nötigt Giovannino Guareschi, seine Kurzgeschichten zu einem Episodenroman zu verquicken. 1948 bringt er «Don Camillo und Peppone» heraus und verbringt das Folgejahr damit, sich die Hände zu reiben: Der witzige Schelmenroman wird in zwanzig Sprachen übersetzt, allein die deutsche Ausgabe verkauft sich 250’000 Mal. Guareschi meint trocken: «Ich war, bin und werde Journalist bleiben. Dass mein Verlagshaus aus meinen Artikeln Bücher macht, ist nicht meine Schuld». Angelo Rizzoli bleibt für den Rest seines Lebens die treibende Kraft hinter dem kommerziellen Erfolg von Don Camillo. Für die Verfilmung holt er den renommierten Film-Produzenten Giuseppe Amato an Bord. Rizzoli/Amato klopfen bei grossen italienischen Regisseuren an, darunter Vittorio De Sica oder Alessandro Blasetti. Doch die haben Angst, von der einflussreichen kommunistischen Partei Italiens Haue zu bekommen. In den USA gerät der Buchknüller in die Hände von Regisseur Frank Capra («Arsen und Spitzenhäubchen»), der sich mit einem langen Brief geradezu um die Rechte bewirbt und für die Hauptrolle Spencer Tracy verpflichten will. Doch Capra ist noch bei Paramount verpflichtet, Rizzoli und Amato aber wollen vorwärts machen. Schliesslich finden sie ihren Regisseur in Paris. Väter IV. und V. Der bekannte französische Regisseur Julien Duvivier steigt in das Projekt ein und holt für’s Drehbuch seinen Weggefährten René Barjavel an Bord. Giovannino Guareschi gehen die ersten Entwürfe des Drehbuch zu weit. Für seinen Geschmack ist es verkürzt, die Kommunisten kommen zu gut weg, Peppone ist ihm zu wenig Funktionär und zu sehr Mensch und Don Camillo kommt ihm zu salopp und kindlich vor. Er versucht, Einfluss zu nehmen und seine politischen Aussagen wieder einzubringen, findet aber kein Gehör. Duvivier/Barjavel fokussieren auf Komik und Versöhnung. Die Besetzung der Hauptrollen trägt auch nicht zu Guareschis Entspannung bei. Väter VI. und VII. Guareschi möchte durchaus gerne einen Komiker als heissblütigen Priester, auch und gerade weil es im katholischen Italien der Fünfzigerjahre eine delikate Sache ist. Aber Duvivier/Barjavel und Rizzoli/Amato entscheiden sich für einen Komiker mit Schuhgrösse 48, Pferdegebiss, hervorquellenden Augen und umwerfender Mimik – nämlich für den im wahrsten Sinn des Wortes grossen Fernandel. Fernandel ist kein Schauspieler, sondern ein Ereignis. «Er hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit meinem Don Camillo», murrt Guareschi, der ahnt, dass Fernandels Komik den Film annektieren und damit entpolitisieren wird. Glücklich ist Guareschi immerhin mit Gino Cervi als Peppone. Der Stalinschnauzer sieht ihm selber verblüffend ähnlich und ist ebenfalls ein cholerisches Energiepaket. Gedreht wird im Städtchen Brescello rund zwanzig Kilometer nordöstlich von Parma, und Guareschis Ahnung bestätigt sich: Fernandel spielt die Rolle seines Lebens, Cervi gibt den kommunistischen Bürgermeister mit demselben Furor, die Komik und Dynamik zwischen den beiden Protagonisten lassen noch die letzten im Drehbuch verbliebenen politischen Positionsbezüge von Autor Guareschi verblassen. Guareschi fühlt sich missverstanden. Er wollte bissig und humorvoll zeigen, wie die Welt ist, doch Duvivier und Barjavel zeigen heiter und versöhnlich, wie die Welt sein könnte. Der Autor verspürt nicht wirklich Freude über den fertigen Film, indes, die Aufmerksamkeit ist riesig. Die Zensurbehörden aller Länder diskutieren die Freigabe des Werks. Spaniens katholische Kirche verhindert, dass der Haudrauf-Priester in die Kinos kommt. In der Sowjetunion ist es die Partei, die das zersetzende Machwerk verbietet – das Verständnis für Komik hielt sich bei kommunistischen Funktionäre in Grenzen, selbst für ihre eigene unfreiwillige. In grossen Teilen der übrigen Welt aber tritt «Don Camillo und Peppone» einen überwältigenden Siegeszug an. In den deutschen Kinos bekommt der Film Ovationen. Deutschland zeichnet den Kassenschlager mit dem Bundesfilmpreis aus als «besten Film zur Förderung des demokratischen Gedankens». Die Washington Post bringt eine achtseitige Sonderbeilage über Don Camillo und das italienische Filmschaffen. Giovannino Guareschi schluckt leer und arrangiert sich zügig mit dem Erfolg, lobt Fernandels schauspielerische Wucht und verkneift sich weitere Kritik am Regisseur. Duvivier und Barjavel realisieren noch einen zweiten, nicht minder erfolgreichen Film. Es folgen drei weitere Filme anderer Regisseure, ein sechster Film bleibt unvollendet, weil Fernandel während der Dreharbeiten das Zeitliche segnet. Die Drehbücher des dritten und vierten Films schreibt Autor Giovannino Guareschi selber. Seine Plots sind einfallsreich wie eh und je, doch der Reiz des Neuen ist weg und Filmkritik wie Publikum monieren einen Mangel an feinen Ironien – es sind nur noch Komödien, aber keine berührenden Evangelien der Versöhnung mehr. Don Camillo und Peppone haben ihren Schöpfer überlebt: Giovannino Guareschi stirbt 1968. Don Alessandro Parenti stirbt 1980, Don Camillo Valota 1998. Don who? Väter VIII. und IX. Guareschis Vorstellung eines Gottesmannes wurde wohl von vielen Priestern mitgeformt, doch es sind zwei, die alle andern überragen. Don Alessandro Parenti war über vierzig Jahre lang der äusserst eigenwillige Priester von Trepalle, dem höchstgelegenen ganzjährig bewohnten Dorf Europas auf 2250 Metern über Meer zwischen Bormio und Livigno. Don Parenti brachte fliessendes Wasser ins Dorf, elektrischen Strom, Telefon und eine Tankstelle, und er setzte die Winteröffnung der Strasse nach Bormio durch. Dass manche seiner mausarmen Schäfchen schmuggelten, focht den Hirten nicht an. Grenzen seien eine Erfindung des Menschen, bemerkte er trocken. 1948 schrieb Giovannino Guareschi in seinem Satiremagazin: «Ich empfehle euch, Don Parenti zu besuchen. Beim Sprechen brüllt und gestikuliert er.» Der zweite reale Don Camillo war Namensgeber für Guareschis Filmfigur: Don Camillo Valota, Priester in Frontale di Sondalo zwischen Bormio und Tirano. Wie Guareschi war auch er beteiligt am Waffenstillstand von Cassabile, schloss sich dann dem Widerstand an und brachte mit seiner Partisanengruppe Juden von Italien über die Alpen in die Schweiz. 1944 wurde er von den Faschisten verhaftet und durchlitt, wiederum wie Guareschi, vier Lager der Deutschen, darunter Mauthausen und Dachau. Ob Guareschi und Valota sich in Cassabile oder in einem KZ kennenlernten, ist nicht bekannt. Nach Ausbruch des Friedens kümmerte Valota sich als Kaplan um die italienischen Arbeitsmigranten in den ostfranzösischen Kohlbergwerken. Wie alle geistesgrossen Gottesmenschen haben wohl auch Don Camillo Valota und Don Alessandro Parenti mit dem Gekreuzigten stetes Zwiegespräch geführt – und dabei gelegentlich einen hilfreichen Impuls bekommen, so wie ihr Abbild Don Camillo. Vater X. Ob der Gekreuzigte am Hochaltar in Don Camillos Kirche bereits bei der Entwicklung der Geschichten, Drehbücher und Inszenierung inspirierend tätig war, hat er selber bislang weder bestätigt noch dementiert. Womöglich, weil ihn noch niemand danach gefragt hat. Zitate «Herr Jesus, denke an meine Verdienste und lass mich diese Kerze auf Peppones Schädel zerschlagen. Was kann ihm da schon gross geschehen.» Don Camillo «Ist es Gift?» «Nein, etwas mit Salbei.» Don Camillo und Peppone «Oh Herr, wer wird die Menschen jemals begreifen?» «Ich, Don Camillo.» Don Camillo und der Gekreuzigte «Ohne deine Wege kritisieren zu wollen, oh Herr, muss ich dir sagen, dass ich, wenn ich du wäre, nie erlaubt hätte, dass Peppone Bürgermeister wird». Don Camillo «Oh Herr, es ist schwer, mit dir zu diskutieren.» Don Camillo «Dummheit ist kein Schutz vor Unglück.» Fräulein Christina. «Die Geschichte wird nicht von Menschen gemacht. Die Menschen sind der Geschichte unterworfen, wie sie der Geografie unterworfen sind.» Giovannino Guareschi «Der Hunger, der Dreck, die Kälte, die Krankheiten, die verzweifelte Sehnsucht nach unseren Müttern und unseren Kindern, der tiefe Schmerz über das Unglück unserer Heimat haben uns nicht besiegt. Nie haben wir vergessen, zivilisierte Menschen zu sein mit einer Vergangenheit und einer Zukunft.» Giovannino Guareschi über seine Zeit in Gefangenenlagern. «Selten einmal rühren sich in Frankfurt für einen Film ohne anwesende Hauptdarsteller die Hände zum Beifall. Bei Don Camillo geschah es.» FAZ, 28.11.1952 «Die grandioseste Komik, die wir je sahen … Christen und Kommunisten lachen befreit, verklärt, weil über alles Trennende, um dessentwillen sie sich die Köpfe vertrommeln, jedes Mal die Liebe siegt, wenn Not am Mann ist. Gott, wenn Stalin und der Papst sich so einigen könnten, wie dieser liebe Camillo und dieser treffliche Peppone!» Wiesbadener Tagblatt, 5.12.52 «Am liebsten möchte man das Kino nicht verlassen, sondern sich diese filmische Inkarnation so oft ansehen, bis sie Auge, Ohr, Verstand und Herz – Herz ist wichtig! – derart aufgenommen haben, dass sie als unvergessliche Dauerprojektion jederzeit verfügbar ist, wenn eiserne Vorhänge niederzurasseln drohen. Es ist ein Meisterwerk, verschmitzt und voller Tiefsinnigkeit. Es ist deftig und zart, es ist, um Tränen des Lachens und des Weinens gleichzeitig zu vergiessen.» «Telegraf», Berlin, 1952 |