1. Gang: Himmelfahrtskommando
Juni 2015. Es klingelt. Auf dem Display erscheint eine lange Nummer. Bestimmt ein Callcenter. Trotzdem nehme ich ab. «Grüezi Herr Näf», sagt der Mann, «mein Name ist Mosimann, ich werde 70 und suche einen Autoren für meine Autobiogrfie. Sie wurden mir empfohlen. Machet Si so öppis?» Mit Vergnügen. Seit 27 Jahren lebe ich vom Schreiben. Meine Lieblingsdisziplin ist das Perlentauchen. Selbst ein gemächlich geplätschertes Menschenleben birgt Tiefen und Untiefen voller Schätze, die ich heben kann, bestimmt auch bei dem netten Herrn am andern Ende der Leitung. Ich realisiere nicht, dass er Anton Mosimann ist. Und er realisiert, dass ich es nicht realisiere. «Mosimann, London», sagt er beim Abschied. Ich lege auf und fasse einen präventiven Herzinfarkt ins Auge. Anton Mosimann also. Ich war auch mal Koch und habe ihn stets mitverfolgt. Der Wirtebub aus Biel dirigiert im zarten Alter von 28 als Küchenchef im Dorchester Hotel in London 130 Köche. 13 Jahre und zwei Guide-Michelin-Sterne später kauft er sich an bester Lage eine kleine presbyterianische Kirche und eröffnet seinen «Mosimann’s Dining Club». Daneben kocht er mit seinem Partyservice für den Buckingham Palace, für No. 10 Downing Street, für die Mächtigen, Klugen, Reichen oder wenigstens Schönen dieser Welt. An Weltausstellungen, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen betreibt er Länderpavillons und Pop-up-Restaurants. Der Mann ist ein perfektionistischer Kontrollfreak und ausgestattet mit genau jener Dosis Narzissmus, die in seiner Branche den Erfolg nicht gefährdet, sondern begünstigt. Vor allem aber ist er seit vierzig Jahren Chef und hat seit vierzig Jahren recht. Ich liebe Himmelfahrtskommandos. 2 . Gang: Schönschreiben, schön schreiben
London, 1. Sept. 2015. «Cheers. Machen wir auf Du. Ich bin Anton. Ich habe schon mehrere potentielle Autoren nach London eingeladen. Es hat nie gepasst. Die Chemie muss stimmen.» Vielleicht will er mich vereinnahmen, benutzen als Steinmetz für sein grandioses Denkmal, gemeisselt aus Triumphen. Zum schmachvollen Misserfolg seines Dining Clubs im Säli-Schlössli in Olten hat er in Interviews zwölf Jahre lang jegliche Fragen abgeblockt. Damals hatte die Medienmeute ihn zerfetzt und verletzt. Ob er da meinen Finger auf seiner Wunde ertragen wird? Vier Konzepte lege ich ihm vor, und natürlich gefällt ihm das Aufwändigste: Eine chronologische Ich-Erzählung mit isolierten Einschüben von seiner Frau Kathrin und den Söhnen Philipp und Mark. Das bringt Wochen voller Gespräche mit sich, endlose Tonaufnahmen, tagelange Transkriptionen. Ich will Antons Erzählton einfangen. Wer die Autobiografie kauft, soll ihn beim Lesen hören. Und in den Gesprächen will ich mich ganz auf ihn einlassen und ihn in seine eigenen Tiefen lotsen. Mitzuschreiben würde stören. Sein Archiv – du lieber Himmel. 1961 hat der kleine Toni auf seinem Töffli ein Stoppsignal überfahren, der Bussgeldbescheid hat 54 Jahre überdauert. Und der längste handgeschriebene Brief von Prinz Charles ist fünf Seiten lang: «How can I ever thank you? I think you are a complete hero and I salute you! With best wishes and heartful gratitude, I am most sincere, Charles.» An der Buchvernissage 2017 im Widder Hotel Zürich wird Anton Mosimann erklären, ich hätte zwecks Verifizierung und Präzisierung seiner Erinnerungen 350 Ordner voller Papier durchgeackert. Es waren wohl nur wenige weniger. Vor dem Rückflug in die Schweiz drückt er mir ein Papier in die Hand. «Ich sollte für ein Kochlehrbuch ein Editorial schreiben. Hier habe ich einen älteren Entwurf für ein anderes Editorial. Kannst du das in Form bringen?» Offenbar prüft er mich. Im Flieger lese ich den Text, daheim schmeisse ich ihn aufs Altpapier und schreibe etwas komplett Anderes. Ich prüfe ihn auch. «Very well done!!» notiert er per Mail zurück. Wir haben bestanden, alle beide. Mit dem Herzinfarkt werde ich noch zuwarten. 3. Gang: Süsses & Saures
Prinzessin Diana küsste ihn als einzigen am Tisch. Margareth Thatcher beschwerte sich, das Dinner mit François Mitterrand sei zu teuer gewesen. Jimmy Carter bat nach dem Essen um einen Doggy Bag. Liz Taylor klingelte ihn nachts um zwei aus dem Bett, wie sie in ihrer eigenen Biografie ausplaudert. Ja, Antons Leben schrieb Geschichten. Kathrin weiss sie zu ergänzen: «Als Philipp etwa acht Jahre alt war, sagte er einmal zu Toni: Papi, du hast nie Zeit für uns. Wenn ich gross bin, habe ich dann auch keine Zeit für dich. Mir sind die Tränen heruntergelaufen. Loset Buebe, habe ich ihnen gesagt, Papi arbeitet für uns soviel. Er tut alles, damit es uns gut geht.» Meine Wochen in London 2016 sind getaktet: Vormittag Gespräche, Mittagessen leicht, Nachmittag Archiv, Nachtessen üppig, auswärts und zu dritt. So kommt man sich näher. Beim Inder in Kensington frage ich vor dem Hauptgang: «Was kommt nach dem Tod?» «Nichts», meint Anton, «ich glaube nicht dass ich wieder zurückkomme als Giraffe oder so.» «Irgendwie wird es weitergehen», sagt hingegen Kathrin Mosimann, «Ich treffe dort oben eines Tages all meine Lieben. Du nicht?» Anton: «Ich hoffe es natürlich.» Kathrin zu mir: «Ich hoffe, ich treffe dich dann auch wieder. I mach der dänn d’Tür uf wenn’d dethär chunnsch.» Seinen fünfzigsten Geburtstag inszeniert Anton Mosimann 1997 mit 650 Gästen im Naturhistorischen Museum in London. «Life is a circus» lautet das Festmotto. Anschliessend schreibt er sein Testament und choreographiert seine Abdankung. Zehn Jahre später reserviert er für Kathrin und sich in Montreux eine Grabstätte mit Aussicht über den Genfersee. Beim Sterben ist es wie in der Gastronomie; wer früh reserviert, kriegt den Platz mit der besten Aussicht. Ein Früher war er immer schon. Früh erwachsen. «Zu früh», sagt er. Der Wirtesohn wuchs auf bei den Erwachsenen in der Gaststube – Die private Familienstube diente als Depot für Zigaretten. In den biografischen Abschnitten seiner dreizehn Kochbücher und in ungezählten Interviews berichtete Anton Mosimann gerne von seiner schönen Kindheit. Von der Liebe seiner Eltern. Wie sie an Heiligabend die Traurigen und Einsamen einluden und gemeinsam feierten. |
4. Gang: Würziges & Bitteres
Im Lauf unserer der Zusammenarbeit wächst das Vertrauen. Wir tauchen tiefer. Neue Konturen zeichnen sich ab. Seine Eltern waren nicht nur liebevoll, sondern auch überfordert. Sie trank Weissen und schlug den Buben, er trank Roten und hatte Affären mit den «Serviertöchtern». Und die Weihnachtsfeiern mit den Traurigen und Einsamen? Sie waren nur am Anfang schön, aber «sie haben sich dann jedesmal ins Elend getrunken, bis gegen Mitternacht eine Schlägerei ausbrach. Es kam vor, dass ich beruhigen oder sogar schlichten musste.» Am sechsten Interviewtag erzählt Anton mir jene Begebenheit, die uns den ersten Satz des Buches liefert: «Ich war etwa siebenjährig, als mein Vater sagte, jetzt sei Schluss, jetzt gehe er sich erschiessen.» Auch sein Waterloo im Säli-Schlössli bei Olten spricht Anton Mosimann an. Er ist sich bewusst, dass die Kleckse Teil des Ganzen sind. Am letzten Interviewtag der letzten Interviewwoche, Stunden vor meinem Rückflug in die Schweiz, wirkt er eigenartig fahrig. Schliesslich ringt er um Worte und offenbart, dass er mit sieben Jahren von einem Nachbarn missbraucht wurde. 62 Jahre lang hat er das Erlebnis verscharrt. Nicht einmal Kathrin weiss es. Seine Worte, seine Augen, sein Atem sprechen Bände. 5. Gang: Die Zutaten
Ob der Missbrauch ein Schlüssel zum Verständnis des Menschen Anton Mosimann sei – die Frage ist müssig. Er selber ist weder Küchentischpsychologe noch Philosoph. Er ist Erzähler. Durch und durch. Andere mochten genauso exzellent kochen wie er, aber nur er bekam dafür zwei Dr. h.c. und wurde Königlicher Hoflieferant. Weil er seine Passion inszenierte und so die besseren Geschichten erzählte. Anton Mosimann schuf ein auffälliges optisches, kulinarisches und geschäftliches Profil und kultivierte einen Habitus. Die Aufmerksamkeit war sein Betriebskapital, den Wiedererkennungseffekt nutzte er als Werkzeug. Was er tat, richtete er danach aus, es in der Erinnerung anderer zu verankern. Und er bezog die Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnisse seines Publikums so in seine Inszenierung ein, dass es mit dem Applaus, den es ihm widmete, zu guter Letzt sich selber meinte. Als Anton Mosimann 1975 nach London kam, galt die englische Küche als suboptimal bis semidiskutabel. Selbst die Briten machten Witze. Der Schweizer Frischling erkannte seine Chance. Er setzte auf nationale Produkte, verfeinerte die schweren Rezepte und vermarktete die englische Küche selbstsicher und ohne ironisches Augenzwinkern. Damit erweckte er bei den Londonern ein neues Gefühl: Den Stolz auf die eigene Küche. Die Geschichte des Essens in Grossbritannien der letzten fünfzig Jahre sei eindeutig zweigeteilt, schrieb der renommierte Food writer Loyd Grossman 1993, nämlich «before Mosimann and after Mosimann.» Anton Mosimann hat seine beinharte Arbeitsmoral und Disziplin stets verkleidet als nonchalante Leichtigkeit. Das Kochen war ihm gegeben, aber auch als Tischler hätte er Widerständen getrotzt, als Architekt Chancen entdeckt und gepackt, als Musiker ohne Berührungsängste alles seinem Ziel untergeordnet. Alles. Alles. Seiner Verlobten hatte er 1974 erklärt, sie werde immer erste an zweiter Stelle kommen. «Ich weiss», antwortete sie. «Er wusste immer, was er will und was er kann», sagt Kathrin Mosimann rückblickend, «und das hat mir gefallen.» Er hatte den Lead. Ab-Gang: Something completly different
«The Mosimann Collection» auf dem Gelände des César Ritz College in Le Bouveret am Genfersee bezeugt auf vier grosszügige Etagen ein bewegtes Leben. Fünfzig Goldmedaillen internationaler kulinarischer Wettbewerbe, Bilder von der Oldtimer-Rallye Peking-Paris 2006, Auszeichnungen als Jungschwinger, das Privatdetektiv-Diplom, Mosimanns Sammlung historischer Kochbücher. Was aber fehlt, sind manche Geschichten, die sich nur schwer inszenieren lassen. Auf der ganzen Welt arbeiten Spitzenköche und Hoteliers, die bei Anton Mosimann gelernt haben. Tausende Praktikanten und Lehrlinge durchliefen seine Küche, darunter viele Halbgefangene, frisch Entlassene oder Problemjugendliche aus Prinz Charles’ Stiftung für Integration. Anton Mosimann hat jedes Jahr für ein paar Dutzend gemeinnützige Anlässe und Spendengalas gekocht. Diese Facetten fehlen im Museum. In der Autobiografie fehlen sie nicht. Was auch nicht fehlt, ist ein handgeschriebener Brief an Anton Mosimann vom März 2007. Nicht von Prinz Charles, sondern von einem australischen Koch: «Ich habe mich oft gefragt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich 1992 nicht den Mut gehabt hätte, Sie anzurufen. Und Sie nahmen sich 42 Minuten Zeit um mit einem Koch zu sprechen den Sie nicht kannten, und halfen mir, Karriereziele festzulegen, und luden mich als einer von 20 Köchen an Ihre Academy ein. Ich erinnere mich an den Tag an dem Sie sahen, wie Joanne im Schneetreiben wartete, bis ich Feierabend hatte. Wie Sie Joanne in Ihr Büro holten und einem Kellner sagten, er solle ihr bringen was sie wünsche. Joanne hatte zum Kellner gesagt, sie brauche nichts, und seine Antwort war: Madam, Sie haben etwas missverstanden – Sie sind hier bei Mosimann's, und Herr Mosimann hat mir gesagt, ich solle Sie bedienen. Dass wir an der Busstation schlafen mussten, ist lange her. Ich habe jetzt selber ein Restaurant. Heute begreife ich, dass ich da hindurch gehen musste, um zu werden, was ich heute bin. Herr Mosimann, ich bin ein besserer Mensch seit ich Sie kenne. Sie haben mein Leben verändert und ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Und: Ja, ich mag, was ich geworden bin.» |